Heutzutage kann jeder, der einen Internetzugang hat, journalistisch aktiv werden. Die ehemals festgelegten Rollen zwischen Sender (Medium) und Empfänger (Rezipient) verschwimmen. Gleichzeitig begünstigen die sozialen Netzwerke die Entstehung von „privaten Öffentlichkeiten“. Was bedeutet das für den (klassischen) Journalismus? Diese und noch viele weitere Fragen wurden auf dem ersten Digitalisierungstreff am 30.03.2017 im Digital Hub Bonn diskutiert.
Die Scopevisio AG hat das neue Veranstaltungsformat ins Leben gerufen, das im zwei- bis dreimonatlichen Rhythmus aktuelle Digitalisierungsthemen aufgreift. Aufgrund des großen Interesses war die Veranstaltung von der Rohmühle in die Räumlichkeiten des Digital Hub verlegt worden. Dorthin waren rund 50 Gäste gekommen, um die Fishbowl-Diskussion zwischen Sylvia Binner (Chefin vom Dienst, General-Anzeiger Bonn), Sabria David (Slow-Media-Institut, Wikimedia), Inga Ketels (Online-Redakteurin, Scopevisio), Björn Müller-Bohlen (Digitale Gesellschaft, Forum Internationale Wissenschaft) und Gunnar Sohn (Wirtschaftspublizist und Blogger) zu verfolgen. Ein Stuhl war freigeblieben, um von Mitdiskutierenden aus dem Publikum erobert zu werden, was erst zögerlich, später aber doch häufig geschah. Moderiert wurde der Abend von Guido Bosbach. Der Livestream der Debatte kann auf Facebook abgerufen werden.
Den Einstieg in die Diskussion machte Sabria David mit der These, dass man im Zusammenhang mit Digitalisierung weiterhin die traditionellen Kulturtechniken brauche, um Informationen sortieren, einordnen und bewerten zu können. Gleichzeitig forderte sie aber auch digitale Kulturtechniken, die in einem Prozess lebenslangen Lernens erworben werden müssten. Auch im Journalismus müsse das klassische Handwerkszeug noch besser beherrscht werden. Die journalistische Regel von der zweiten Quelle etwa reiche heute längst nicht mehr. Das unterstrich auch Gunnar Sohn: „Die Überprüfbarkeit der Quelle verdunstet. Es gibt eigentlich keine Kanäle mehr im Web.“
Björn Müller-Bohlen ging insbesondere auf das Thema Regulierung, Communities, Filterblasen und Fake News ein. Er argumentierte gegen kurzfristige Regulierung und ähnlich Maßnahmen, vielmehr liege die Verantwortung in den Communities selbst: „Wir müssen uns in den Communities die Reflexionsarbeit zumuten.“
Laut Gunnar Sohn haben die klassischen Medien keine Antwort auf den Zerfall der Öffentlichkeit. Längst gäbe keine Einwegkommunikation mehr, keine öffentliche Meinungsbildung. Im digitalen Zeitalter „strickt sich jeder seine eigene Öffentlichkeit selbst, jeder produziert seinen eigenen Kontext“. Auf diese Entwicklung hätten die klassischen Medien in Deutschland bislang keine Antwort gefunden. Auch passende Formate würden noch fehlen. Zudem kritisierte er, dass klassische Medien Inhalte nicht plattformgerecht aufbereiten, sondern ein und dieselbe Meldung auf diversen Kanälen in gleicher Weise ausspielen würden. Sohn vertrat außerdem die Auffassung, dass die Medienmarken – Spiegel, Focus etc. – verschwinden, die einzelnen Akteure dagegen immer wichtiger würden. Dies seien zum Beispiel Redakteure, denen es gelänge, selber Communities zu bilden.
Auch Sylvia Binner war der Meinung, dass sich die Aufgaben des Journalisten mit der Digitalisierung grundlegend veränderten: Ehemals Autor, würde der Journalist mehr und mehr zum Moderator, Aggregator und Navigator. Gleichwohl brauche die Gesellschaft weiterhin verlässliche Nachrichtenlieferanten. Doch ist sie auch bereit, dafür zu zahlen? Am Beispiel Bonn zeige sich: „Wenn man nicht bezahlt, dann gibt es in einer Stadt von der Größenordnung Bonns auch kein zweites lokales Medium“.
Binner sieht den General-Anzeiger in Sachen Digitalisierung auf dem richtigen Weg und betonte, dass man viel experimentieren würde, etwa mit der Liveberichterstattung zur US-Präsidentschaftswahl. Die anderen Teilnehmer legten dem General-Anzeiger dagegen mehr Mut zum „kollaborativen Journalismus“ ans Herz. Die Redaktion könnte schließlich nicht überall sein. Warum nicht die Kompetenz der Menschen in der Nachbarschaft, vor Ort („Hyperlokalität“) nutzen und deren Inhalte kuratiert publizieren? Grundsätzlich pflegt der General-Anzeiger schon viele kollaborative Ansätze, allen voran den klassischen Leserbrief. Immer wieder werde an die Leser appelliert, mitzumachen und sich zu beteiligen, so Sylvia Binner, was auch geschehen würde. Als Beispiel nannte sie ein gemeinsam mit Bonner Kindern geschriebenes Kinderbuch.
Zu den weiter diskutierten Themen des Abends gehörten der Wert von Medien, die Umsonst-Kultur im Internet, die Ausbildung von Journalisten…und zu guter Letzt die Aufforderung: „Machen, machen, machen.“
Der nächste Digitalisierungstreff widmet sich dem Thema “Neue Arbeit” und findet am 18. Mai 2017 statt. Der Ort wird noch bekannt gegeben.