Früher war die Welt einfach, die Hierarchien waren klar und eine Führungskraft noch eine Führungskraft. Sie wusste, wo es langging, hatte alle relevanten Informationen. Sie kannte die Strategie des Unternehmens, war mit der nächsten Führungsebene auf Du und Du.
Sie führte die Mitarbeiter über klar vorgegebene Ziele, stand einmal im Jahr für Feedback zur Verfügung und kannte garantiert alle Fehler und Irrtümer, die ihren Mitarbeitern im letzten Jahr unterlaufen waren. Sie war Herr des Budgets und Chef der ganzen Truppe.
Wenn es Erfolge zu feiern gab, war sie vor Ort, um die Ehrung stellvertretend für alle persönlich entgegenzunehmen. Motiviert wurde über Lob und Tadel und vor allem über das Gehalt und Boni. Führung war einfach, weil alle wussten, wie der Hase läuft.
Unsere Karriere war darauf abgestellt, endlich auch selbst Führungsverantwortung zu übernehmen. Fachliche Qualifikation, das „richtig gut im Job sein“, war vielfach der Hebel für diese ganz besondere Art der Belohnung.
Okay, diese Darstellung ist sehr stereotyp, aber sie traf und trifft vielleicht immer noch auf eine Minderheit (?) von Führungskräften zu.
Ein Blick auf die bis heute etablierten Führungsstile zeigt, wie nah und vertraut uns dieses Bild dennoch ist. Transaktionale Führung, die Führung durch Ziele, Leistung und Gegenleistung, war und ist weit verbreitet. Sie geschieht in Form von Arbeitsanweisungen, Jahresmitarbeitergesprächen und Management by Objectives (= Management durch Zielvereinbarungen) und die Erfolgskontrolle durch geeignete KPI (Key Performance Indicators).
Nach dem 100 Jahre alten Verständnis grundlegender Managementerfinder wie Adam Smith, Frederick Winslow Taylo und Henri Fayol , war der arbeitende Mensch faul, brauchte klare Vorgaben, Kontrolle und war bestenfalls über Geld zu motivieren.
„Command & Control“ war die wichtigste Führungsphilosophie. Führung funktionierte über Hierarchie und (künstlichen) Mangel – zum Beispiel von Information.
Neue Führung hat verstanden, dass Menschen anders ticken. Motivation über Geld funktioniert dauerhaft nur im sehr eng umgrenzten Feld der Akkordarbeit und dort auch nur teilweise. Sinn, Wertschätzung, Respekt und Vertrauen sind als viel wesentlichere Elemente guter Zusammenarbeit erkannt, genauso wie wir unsere Mitarbeiter als Kollegen auf Augenhöhe wahrnehmen, mit all ihren Befindlichkeiten und Wünschen.
Transformationale Führung ist ein vergleichsweise neues Führungskonzept, das sich ausbreitet – und doch bereits wieder auf dem Weg ist von spezifischeren Ansätzen wie dienender oder gesunder Führung abgelöst zu werden.
Daneben gibt es eine Vielzahl neuer, spannender und im Detail weiter fokussierender Führungsansätze wie wertschätzende, situative oder regenerative Führung.
Diese Entwicklung besitzt für viele bereits positive Züge, gibt sie doch schon mehr Bewegungsspielraum in unserem sonst so engen Arbeitsalltag.
Problematisch ist, dass nur ein kleiner Teil der Führungskräfte Gelegenheit bekommt, sich in diesem Bereich weiterzubilden und somit nur wenige mit diesen Konzepten in Berührung kommen. Der Weg auf eine Führungsposition führt nur sehr selten über eine fundierte Führungsausbildung. Dabei ist Führung, als sehr intensive Interaktion mit Menschen, eine der schwierigsten und komplexesten Aufgaben.
Führung ist heute noch immer derselbe geschlossene Prozess, der schon seit x-Jahren innerhalb klarer, teilweise enger Vorgaben stattfindet. Es werden Aufträge erteilt oder ausgehandelt und Pläne abgearbeitet. So entsteht ein relativ fester Rahmen, in dem wir agieren.
Die Vision und die Strategie in stark führungsgeprägten Strukturen werden meist von einer kleinen Gruppe, oft dem Top-Management entwickelt und vorgegeben. Den übrigen Führungsebenen obliegt dann die Aufgabe, diese in die Organisation zu kaskadiert.
Doch diesem Verständnis von „Anleitung“ im Unternehmen fehlt oftmals der Raum, um schnell und flexibel auf Veränderungen zu reagieren.
Die Zukunft mit ihrer wachsenden Komplexität macht Führung immer schwieriger und irgendwann handlungsunfähig.
Doch am Horizont erscheint eine neue Interpretation von Leitung und zukunftsweisender Zusammenarbeit: Leadership.
Während Führung bzw. Management darauf abzielt, etwas richtig zu tun, will Leadership das Richtige tun. Dieses kleine Wortspiel von Peter F. Drucker (Originalzitat: „Es ist wichtiger, das Richtige zu tun, als etwas richtig zu tun.“) unterstreicht, worum es geht: positive Wirksamkeit – zumeist verbunden mit einem positiven Menschenbild.
Das Verständnis von Leadership fügt sich perfekt in unsere Zeit ein. Leadership ist unabhängig von formalen Hierarchien und erzeugt dennoch informelle, auf Reputation und Ansehen aufbauende Ordnungen. Sie arbeitet auf der Ebene der freiwilligen Akzeptanz statt des machtvoll vorgegebenen.
Dennoch ist Leadership auch Macht, allerdings in einer fluiden Form, die problemlos und fast jederzeit von einem zum Nächsten übergehen kann, wenn dieser Nächste, die in diesem Moment für die Gruppe relevante Kompetenz besitzt.
Auch in klassischen Strukturen kennen wir Leader – oft sind diese für Außenstehende jedoch eher unsichtbar.
Leader sind diejenigen, die etwa in Projekten entsprechend ihrer Erfahrung und ihres Wissens, oft ganz natürlich und ohne formalen Prozess, Verantwortung für ein (Teil-)Gebiet übernehmen oder uns dabei unterstützen unsere Arbeit bestmöglich einzubringen.
Dies auch, ohne formal die fachliche oder disziplinarische Führung zu besitzen. Sie schaffen es, uns Raum für Wachstum und persönliche wie auch gemeinsame Entwicklung zu öffnen und steigern so wiederum ihre eigene Anerkennung und den Erfolg der Organisation.
Leadership ist ein offenes Konzept. Es fußt auf einem klaren gemeinschaftlichen Sinnverständnis, in dem wir als Beteiligte unsere persönlichen Zielsetzungen, zumindest zum Teil, wiederfinden. Damit gelingt es in Leadership Strukturen oftmals leichter zu motivieren. Wir sind engagierter und inspirierter uns einzubringen, auch weil wir die Chancen für das eigene Wachstum wahrnehmen.
Leadership ist selbst dynamisch und damit bestens an komplexe und dynamische Umgebungen angepasst.
Die Herausforderungen der Zukunft erfordern gerade auch im Kontext Führung und Leadership eine schnelle und bewusste Weiterentwicklung.
Neue, kooperativere, Raum gebende und auf Achtsamkeit beruhende Führungsstile bergen große, auch wirtschaftliche Vorteile für unsere Organisationen.
Gute Führung kann auch den Weg zu mehr Leadership öffnen.
Die alten, in den tradierten Führungskonzepten tief verankerten Grenzen sind jedenfalls ein Herrschaftsinstrument, das digital nicht kompatibel ist. Führungskräfte von morgen müssen die Haltung eines Moderators und Coaches einnehmen und können sich damit in Richtung Leadership weiter entwickeln.
Leadership ist eine Verhalten erzeugende Haltung. Die innere Einstellung ist entscheidend und diese ist durch Selbstreflexion und/oder Coaching häufig entwickelbar.
Zielsetzung im Leadership ist, bei uns Beteiligten positive Energien für die Zusammenarbeit zu erzeugen und ein „gemeinsam sind wir stärker“-Gefühl zu entwickeln.
Wenn wir Herz und Hirn ansprechen und umfassend die Beteiligten für das Mitunternehmertum begeistern können, bringt das allen Stakeholdern enorme Vorteile.
Dazu müssen wir die Angst vor Karriereknicks und Machtverlust überwinden. Expertise ist das neue hierarchische Ordnungsprinzip. Menschenzentrierte Führung & Leadership das energiefördernde Ergebnis.
Besondere Bedeutung bekommt Leadership im Zusammenhang mit Innovation. Innovation baut darauf, vorhandene, kollektive Kreativität, Kompetenzen und Inspiration zusammenzubringen. Es geht darum den Protagonisten Raum zu schaffen, in dem sie sich intensiv in die Lösungsfindung einbringen können.
Linda Hill drückt Innovation-Leadership in Ihren TED-Talk so aus:
“Leading Innovation bedeutet den Raum zu gestalten, in dem die Menschen bereit und fähig sind, die harte Arbeit der innovativen Problemlösungen zu vollbringen.”
“Ich bin ein Vorbild, ich bin ein menschlicher Kleber, ich bin ein Verbinder, ich bin ein Aggregator von Standpunkten. Aber ich bin nie ein Diktator von Ansichten.“
und
” … unsere Rolle als Leader ist es, die Bühne aufzubauen, nicht auf ihr zu spielen.. Wenn wir eine bessere Zukunft (…) erfinden wollen, dann müssen wir unsere Aufgaben neu denken. Unsere Aufgabe ist es, den Raum zu öffnen, in dem jedermann sein Genie freisetzen und einbringen und in Ergebnisse kollektiven Genies umgesetzt werden kann.“
Leadership heißt hier ganz besonders Raum zu geben, in dem andere sich voll entfalten können.
(Im Original: „Leading innovation is about creating the space where people are willing and able to do the hard work of innovative problem solving.“ “I’m a role model, I’m a human glue, I’m a connector, I’m an aggregator of viewpoints. I’m never a dictator of viewpoints.“ und “…our role as leaders is to set the stage, not perform on it. If we want to invent a better future (…) then we need to reimagine our task. Our task is to create the space where everybody’s slices of genius can be unleashed and harnessed, and turned into works of collective genius.“)
Reflexionsfragen:
Individualebene
Wo erlebe ich Führung und Leadership?
Wo bringe ich mich selbst – vielleicht auch nur in ganz kurzen Abschnitten – als Leader ein?
Zu welchen Ergebnissen gelange ich bei meiner Arbeit durch Führung und durch Leadership?
Organisationale Ebene
Welche Führungsstile werden in unserer Organisation genutzt?
Sind diese Führungsstile den Anforderungen an unsere Organisation angemessen?
In welchen Bereichen existiert Leadership?
Hat Leadership in unserem speziellen Fall Vorteile gegenüber klassischer Führung und wenn ja, welche?
Dieser Text ist ein überarbeiteter Auszug aus Guido Bosbachs Buch „ArbeitsVisionen2025“.
Der Querdenker setzt sich darin mit der Frage auseinander, wie wir in Zukunft (zusammen-)arbeiten werden.
Seine eigenen Ideen zum Thema werden durch 50 Interviews bereichert, in denen er seinen Interviewpartnern immer wieder dieselben 6 Fragen zur Zukunft der Arbeit stellte.