Was ist das Reverse Charge-Verfahren?
Reverse Charge bedeutet nichts Anderes als „Umkehr der Steuerschuldnerschaft“. Es handelt sich dabei um eine Sonderregelung bei der Umsatzsteuer. Diese ist in §13b UStG geregelt und betrifft innergemeinschaftliche, grenzüberschreitende Geschäfte mit Firmenkunden.
Während normalerweise der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer zahlen muss, zahlt beim Reverse Charge-Verfahren der Leistungsempfänger – der Besteller – die Umsatzsteuer – und zieht sie direkt wieder ab.
Rechnung netto ausstellen
Daraus folgt, dass der leistende Unternehmer die Rechnung netto ausstellt. Der Leistungsempfänger (Auftraggeber) dagegen versteuert die erhaltene Leistung in seinem Land und zieht diese Steuer als Vorsteuer ab. Daher hat sich auch der Begriff „Abzugsverfahren“ für dieses Vorgehen eingebürgert. Durch den Vorsteuerabzug entsteht für den Auftraggeber in der Regel keine Zahllast.
Anwendungsfälle
Das Reverse Charge-Verfahren wird normalerweise angewendet, wenn ausländische Unternehmen in Deutschland steuerpflichtige sonstige Leistungen oder Werklieferungen ausführen. Zum Beispiel: Ein deutsches Unternehmen hat einen Auftrag an einen Lieferanten in Frankreich vergeben und erhält von diesem nach getaner Arbeit eine Rechnung.
Bei langfristigen Geschäften, z. B. Wartungsverträgen, wird die Steuer für Reverse Charge-Geschäfte anteilig berechnet. Gegenstandswert ist die Tranche, die den jeweiligen Voranmeldungszeitraum betrifft.
Unter bestimmten Umständen können auch reine Inlandsfälle unter die Reverse Charge-Regelung fallen. Dazu zählen z. B. Bauleistungen, Emissionshandelsgeschäfte und Lieferungen von Tablet-PCs.
Entstehung der Steuerschuld
Die Steuerschuld entsteht grundsätzlich mit Ende des Voranmeldungszeitraums, in dem die betreffende Rechnung ausgestellt wurde. Ersatzweise, z. B. bei Anzahlungen, entsteht die Steuerschuld dann, wenn die Anzahlung vereinnahmt wurde.
Vorteile durch Reverse Charge
Das Reverse Charge-Verfahren hat für alle Beteiligten Vorteile.
Vorteile für den Leistungserbringer
Ein französisches Unternehmen stellt seine Rechnung gegenüber dem deutschen Auftraggeber auf den Nettobetrag mit dem Vermerk „Reverse Charge“ aus. Da das französische Unternehmen keine Umsatzsteuer berechnet, muss es sich nicht mit dem deutschen Finanzamt auseinandersetzen. Es braucht sich z. B. nicht in Deutschland umsatzsteuerlich registrieren zu lassen. Stattdessen führt der in Deutschland ansässige, mit den deutschen Regelungen vertraute Auftraggeber die Steueranmeldung durch.
Vorteile für den Leistungsempfänger
Der deutsche Leistungsempfänger muss zwar die Umsatzsteuer für die Leistungen seiner französischen Lieferanten in Deutschland abführen. Aber er kann diese Umsatzsteuer in voller Höhe als Vorsteuer geltend machen. So ergibt sich für ihn keine Zahllast.
Außerdem vereinfacht das Reverse Charge-Verfahren die Steuerdeklaration bei Auslandsgeschäften.
Vorteile für die Finanzverwaltung
Zusätzlich zieht auch das Finanzamt Vorteile aus dem Reverse Charge-Verfahren. Erstens wird die Steuererhebung erleichtert, da der Fiskus auf das Vermögen von Inländern besseren Zugriff hat als auf ausländisches Vermögen. Zweitens verbessert Reverse Charge in Branchen mit hohem Insolvenzrisiko (z. B. Baubranche) das Steueraufkommen.
Früher kam es häufig vor, dass der Auftraggeber Vorsteuer aus Rechnungen eines Bauunternehmens abzog, das dann seinerseits aufgrund von Insolvenz keine Umsatzsteuer aus der betreffenden Rechnung mehr zahlen konnte. Dies führte zu Verlusten für den Fiskus. Dieses Verlustrisiko ist durch Reverse Charge ausgeschaltet.
Rechnung korrekt ausstellen
Die Rechnung des Leistungserbringers muss den Hinweis „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ oder „Reverse Charge“ enthalten.
Außerdem muss unbedingt die Umsatzsteuer-ID des Leistungsempfängers auf der Rechnung angegeben werden. Darüber hinaus sind im Wesentlichen die nach deutschem Recht verpflichtenden Rechnungsbestandteile notwendig:
- Name und Anschrift des leistenden Unternehmers,
- Name und Anschrift des Leistungsempfängers,
- Umsatzsteuer-ID des leistenden Unternehmers (oder Steuernummer),
- Umsatzsteuer-ID des Leistungsempfängers
- Rechnungsnummer
- Menge und Bezeichnung der gelieferten Gegenstände oder Art und Umfang der sonstigen Leistung
- Lieferungs- oder Leistungszeitpunkt oder Zeitpunkt des Empfangs der Anzahlung
- nach Steuersätzen aufgeschlüsselte Entgelte für die Lieferungen/Leistungen sowie evtl. Entgeltminderungen
Aufenthaltsort genau bestimmen
Der Leistungsort und Leistungsempfänger sind genau zu bestimmen! So banal es klingt, birgt dies doch einigen Zündstoff, z.B. wenn der Leistungsempfänger zu einer Unternehmensgruppe gehört, die – teilweise in Personalunion – an demselben Standort arbeitet.
Was ein ausländisches Unternehmen ist, ist ebenfalls genau geregelt: Ein ausländischer Unternehmer hat in Deutschland „weder einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung noch eine Betriebsstätte“ (§ 13b Abs. 7 UStG).
Bauleistungen und Reverse Charge
Bauleistungen sind häufig Gegenstand von Reverse Charge-Geschäften. Welche besonderen Festlegungen hier gelten, hat die Oberfinanzdirektion Niedersachsen hier zusammengefasst.
Buchungssätze
Eine Bauleistung im Werte von EUR 1.000, die z. B. ein französischer Unternehmer für einen Deutschen erbringt, würde von dem deutschen Auftraggeber wie folgt gebucht (wir legen den SKR 03 zugrunde).
SKR 03 Soll | Kontenbezeichnung | Betrag | SKR 03 Haben | Kontenbezeichnung | Betrag |
3120 | Bauleistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers | 1.000 | 70000 | Kreditorenkonto | 1.000 |
1577 | Vorsteuer nach § 13b UStG 19 % | 190 | 1787 | Umsatzsteuer nach § 13b UStG 19 % | 190 |
Zusammenfassende Meldung
Wer Auslandsgeschäfte tätigt, muss eine zusammenfassende Meldung beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) abgeben. Diese Meldung umfasst:
- Reverse Charge-Geschäfte,
- steuerfreie innergemeinschaftliche Warenlieferungen und
- innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte.
Die Zusammenfassende Meldung wird per ELSTER zusammen mit der Umsatzsteuer-Voranmeldung abgegeben. Eine gute Buchhaltungssoftware ist in der Lage, diese Meldung automatisch zu generieren. Die Informationen sind verfügbar, weil die üblichen DATEV-Kontenrahmen die entsprechenden Tatbestände auf eigenen Konten registrieren.
Weitere Informationen lesen Sie in unserem Ratgeber-Artikel zur Zusammenfassenden Meldung.